Historischer Hintergrund
Der kleine ehemalige Güterbahnhof, der sog. Ladehof an der Aumühle in Würzburg ist der zentrale Ort, von dem aus der größte Teil der in Unterfranken lebenden Juden in den Jahren 1941-1942 deportiert wurde. Für 208 Menschen startete der Transport in Kitzingen, eine weiterer mit 64 Personen und einer mit zwei Personen vom Hauptbahnhof in Würzburg. An der Aumühle mussten 1.795 Menschen die Züge besteigen. Von den insgesamt 2.068 direkt aus Unterfranken deportierten Juden überlebten nur 60.
Den Ladehof mit seinen Schienen gibt es nicht mehr. Das lange brach liegende Gelände am Rand der stark befahrenen Bahnstrecke wid neu für gewerbliche Zwecke genutzt.
Erhalten hat sich jedoch mit originalem Pflaster ein Stück des Aufgangs zu den Gleisen von der Schweinfurter Straße, heute eine verwahrloste, als Parkplatz genutzte, ca. 80 m lange Sackgasse zwischen Bahngelände und dem Parkplatz des Real-Einkaufszentrums. Sie befindet sich mit den Böschungsrändern im Besitz der Stadt Würzburg. Ein Durchgang zum ehemaligen Güterbahnhofsgelände wie auch zu den genutzten Gleisen ist von dort aufgrund des starken Bewuchses nicht möglich.
Der Weg der Erinnerung
Zu Fuß hatten die unterfränkischen Juden den Weg zur Aumühle zurücklegen müssen: Im November 1941 von der Schrannenhalle aus, im April und September 1942 vom Platz’schen Garten. Hier hatten sich die Menschen aus den jüdischen Gemeinden in ganz Unterfranken sammeln müssen.
Die Strecke vom Platz’schen Garten bis zum Güterbahnhof Aumühle ist seit 2011 als Weg der Erinnerung kenntlich gemacht, am Platz’schen Garten weist seit November 2010 ein Denkmal auf die Bedeutung des Ortes hin. Mehr als 3.000 Bürger aus ganz Unterfranken sind den Weg der Erinnerung im Mai 2011 schweigend gelaufen, um an die deportierten und ermordeten Juden der Deportation vom 25. April 1942 zu erinnern. Sie hielten schwarze Schilder mit Namen, Alter und Herkunftsort der Opfer in ihren Händen. Mehrere Schwellen kennzeichnen den Weg, Stelen mit Erklärungen dazu werden noch folgen. Die erste Stele am Platz’schen Garten wurde 2015 aufgestellt, ein vertiefendes Informationsangebot ist dort über einen QR-Code abrufbar. Von Anfang an zielte die Konzeption des Weges der Erinnerung auf ein Mahnmal an seinem Ende, das am historischen Ort an dessen tragische Bedeutung erinnert. Hierfür ist geplant, den Rest des historischen Aufgangs zur Aumühle zu nutzen, über den die Menschen auf das Gelände des Ladehofs getrieben wurden. Für die Deportierten war es das letzte Stück Weg, das sie in der Heimat gingen – hier mussten sie endgültig Abschied nehmen von ihrem bisherigen Leben.
Grundüberlegungen zum Denkort Aumühle
Statische Denkmäler, die einmal aufgestellt und ritualisiert genutzt werden, verlieren schnell an Aufmerksamkeit. Ziel des Erinnerungsortes an der Aumühle ist, über einen längeren Zeitraum einen Gedenkort aufzubauen, an dem die Gemeinden, aus denen die Deportierten kamen, beteiligt sind. Der Erinnerungsort soll als zentrale Gedenkstätte für die jüdischen Opfer der NS-Gewaltherrschaft für ganz Unterfranken dienen. Alle 109 Kommunen und ihre Ortsteile, in denen sich zu Beginn der NS-Zeit noch jüdische Gemeinden befanden, werden angesprochen – unabhängig davon, ob aus diesen Orten direkt Juden deportiert worden sind oder nicht. Denn die Vertreibungspolitik der Nationalsozialisten hatte viele Menschen bereits vor den Deportationen aus ihren Wohnorten verjagt, die Kultusgemeinden wurden aufgelöst.
Der Ort am Aufgang zur Aumühle soll so gestaltet werden, dass er Raum bietet für ein wachsendes Denkmal, das aus einer Trägerkonstruktion und darauf befestigten Gepäckstücken besteht. Hierfür hat der Architekt und Künstler Matthias Braun einen Entwurf vorgelegt. Jede der genannten Gemeinden wird gebeten, sich mit einem Gepäckstück an dem Denkmal zu beteiligen und einen Zwilling des Gepäckstücks in der eigenen Gemeinde aufzustellen. Über diese Gepäckstücke werden die Gemeinde und das Denkmal miteinander in Beziehung gesetzt. Material, Größe und Aussehen des Gepäckstücks werden innerhalb eines künstlerischen Rahmenkonzepts aufeinander abgestimmt.
Neben diese materielle Beteiligung der Gemeinden an dem Denkmal tritt eine gedenkpolitische und erinnerungspädagogische Partizipation. Die heute in den einzelnen Orten lebenden Menschen, darunter besonders Kinder und Jugendliche, sollen nicht allein mit dem Schicksal der verfolgen Juden ihres Ortes bekannt gemacht, sondern es soll ihnen die Möglichkeit zur Beteiligung geboten werden. Das Gedenken und die Beschäftigung mit den historischen Ereignissen, Akteuren und Opfern können so zu ihrem eigenen Thema werden. Und sie schärfen den Blick und die Urteilskraft für heute, einer Zeit, in der die Themen Rassismus, Antisemitismus, Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit nichts von ihrer Aktualität verloren haben. Orte für diese Partizipation sind Schulen, Kirchen und Bildungseinrichtungen; Lehrer, Jugendleiter und besonders die Heimatforscher, die sich bereits seit Jahrzehnten mit den jüdischen Familien des Ortes beschäftigen, sollen ihre Begleiter sein. Das vor Ort gesammelte Wissen zu den deportierten Juden gilt es dann wieder mit dem Denkmal in Verbindung zu bringen, wo auch Informationsmedien angeboten werden sollen.
Träger der Initiative
Als Träger der Initiative fungiert derzeit ein Kreis um Dr. Schuster als Vertreter der Israelitischen Gemeinde Würzburg und Unterfranken und Oberbürgermeister Schuchardt für die Stadt Würzburg. Der Bezirk Unterfranken ist durch den Bezirksheimatpfleger Prof. Dr. Reder vertreten. Die Würzburger Projektgruppe „Wir wollen uns erinnern“ mit dem Johanna-Stahl-Zentrum für jüdische Geschichte ist beteiligt wie auch einige Heimatpfleger aus verschiedenen Landkreisen der Region, schließlich ein Vertreter der Jugendbildungsstätte Unterfranken und des Würzburger Bündnisses für Zivilcourage. Der Regierungspräsident ist durch eine Mitarbeiterin vertreten, er unterstützt das Vorhaben. Die zentrale operative Arbeit liegt in Händen der Projektgruppe „Wir wollen uns erinnern“. Über die Gesamtträgerschaft wird demnächst entschieden.
Finanzierung
1. Die Kosten für die Vorbereitung des Ortes am Aufgang zur Aumühle, die Trägerkonstruktion und die architektonische Leitung werden zentral eingeworben. Neben der Stadt Würzburg, der Kulturstiftung des Bezirk Unterfranken sowie gemeinnützigen Stiftungen der Wirtschaft und von Privatleuten sind die knapp 200 Kommunen in Unterfranken gefragt, in denen 1932/33 keine jüdische Gemeinden (mehr) bestanden. Spenden aus Wirtschaft und Gesellschaft sind ebenfalls sehr willkommen. Für die Koordination ist die Einrichtung einer befristeten Teilzeitstelle durch die Stadt Würzburg und den Bezirk Unterfranken im Johanna-Stahl-Zentrum beantragt.
2. Die Übernahme der Kosten für jeweils zwei Gepäckstücke wird von den Gemeinden bzw. kreisfreien Städten erwartet, in denen 1932/33 jüdische Gemeinden bestanden.
3. Für die erinnerungspädagogische Arbeit mit und in allen interessierten Gemeinden hat die Jugendbildungsstätte Unterfranken die Beantragung eines eigenen Projekts zugesagt. Hierfür – jedoch nicht für das Denkmal – kann ein Antrag beim bayerischen Kulturfonds gestellt werden, der im Falle einer Bewilligung max. zwei Jahre lang bis zu 50% der Kosten übernehmen würde. Die restlichen 50% müssen ebenfalls eingeworben werden.
Dr. Rotraud Ries, Johanna-Stahl-Zentrum, 16.11.2016, aktualisiert 18.06.2017