Kinder und Jugendliche

Kinder und Jugendliche hatten ab 1933 genauso unter der NS-Verfolgung zu leiden wie ihre Eltern. Ihnen wurde nach und nach immer mehr verboten: der Besuch von Schwimmbädern, das Benutzen von Fahrrädern, Radios oder Parkbänken und schließlich auch der Besuch der allgemeinen Schulen. Einige fanden einen Platz in jüdischen Schulen, die zum Teil neu gegründet wurden. Die älteren Jungen erlernten in jüdischen Schulwerkstätten in Frankfurt oder München einen handwerklichen Beruf, der praktisch für eine Emigration schien. Für Mädchen gab es nur wenige Ausbildungsmöglichkeiten im Bereich der Hauswirtschaft und Pflege. Mädchen und Jungen gingen in Hachschara-Lager in ganz Deutschland, die auf eine landwirtschaftliche Tätigkeit in Palästina vorbereiteten. Ältere Jugendliche wurden aber auch zu Zwangsarbeit verpflichtet.

Viele Kinder emigrierten mit ihren Eltern. Einige weitere konnten mit einem Kindertransport nach England, Belgien oder in die Niederlande fliehen – Länder, von denen nur England vor NS-Verfolgung sicher war. Die zurückbleibenden Kinder und Jugendlichen wurden mit ihren Familien deportiert und fast alle ermordet.

255 Kinder und Jugendliche, geboren zwischen 1923 und 1942, gehörten zu den 2 069 Deportierten aus Unterfranken. Nur neun von ihnen überlebten die Lager. Denn Kinder wurden als „nicht arbeitsfähige“ Personen in der Regel kurz nach ihrer Ankunft ermordet.

Die Geschwister Weinberger

Hannah, Michael und Elisabeth waren die Kinder von Karl Weinberger und seiner Frau Ruth. Ihr Vater war Erster Staatsanwalt und Landgerichtsrat in Würzburg. Die Familie lebte in einer großen Wohnung mit Garten in der Keesburgstraße in Würzburg.

Die Eltern entschlossen sich erst nach dem Novemberpogrom 1938 und nach der Verwüstung ihrer Wohnung auszuwandern, was jedoch nicht mehr gelang. Die drei Kinder sollten mit einem Kindertransport nach England ausreisen. Als es so weit war, brachten Ruth und Karl Weinberger es nicht fertig, den beiden jüngeren Kindern die Trennung zuzumuten. Lies war drei, Michael sieben Jahre alt. Nur die elfjährige Hanna stieg im Juni 1939 in den Zug. Sie überlebte als einziges Familienmitglied.

Mehrfach musste die Familie die Wohnung wechseln und endete schließlich in einem Sammelquartier. 1941 starb überraschend der Vater und die Mutter begann, als Krankenschwester zu arbeiten.

Am 17. Juni 1943 wurden Michael und Elisabeth Weinberger zusammen mit ihrer Mutter Ruth von Würzburg nach Auschwitz deportiert. Dort wurden sie nach wenigen Tagen ermordet. Michael war elf, seine Schwester Elisabeth sieben Jahre alt.

Gert Gutmann

Gert Samuel Gutmann wurde 1932 geboren. Er lebte mit seiner Mutter Therese und seinem Vater Ludwig Gutmann in Schwanfeld. Dort führte sein Vater ein erfolgreiches Viehhandelsgeschäft. Im Novemberpogrom 1938 wurde im Haus der Familie alles kurz und klein geschlagen. Daraufhin floh die Familie nach Würzburg. Der sechsjährige Gert ging in die jüdische Volksschule.

Am 27. November 1941 wurde er mit seinen Eltern nach Riga-Jungfernhof deportiert, einem heruntergekommenen Gutshof im besetzten Lettland. Schon nach wenigen Tagen musste sein Vater die Familie zurücklassen und Zwangsarbeit in einem anderen Lager leisten. Gert und seine Mutter überlebten zwar Hunger, Krankheiten und den extrem kalten Winter. Am 26. März 1942 wurde das Lager jedoch weitgehend geräumt und die Bewohner in den nahen Wald von Bikernieki gefahren. Dort wurden der zehnjährige Gert und seine Mutter an einem der offenen Massengräber erschossen.

Sein Vater Ludwig überlebte die Shoa und die anschließende Internierung in sowjetischen Lagern. Er kehrte erst 1956 nach Deutschland zurück und lebte mit seiner neuen Familie wieder als Viehhändler in Schwanfeld.

© Rotraud Ries, 2020

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner