Jüdische Gemeinde Mellrichstadt

126 jüdische Bürgerinnen und Bürger lebten 1933 in Mellrichstadt. Die Geschichte der dortigen Juden begann jedoch bereits im Mittelalter – mit Verfolgungen am Ende des 13. Jahrhunderts. Nach der Erwähnung von zwei Familien im Jahr 1412 entwickelte sich ab 1655 ein kontinuierliches Leben einer eher kleinen Gemeinde. 1817 zählte man neun jüdische Haushalte mit etwa 50 Personen. Durch Zuzug aus umliegenden Orten wuchs die Gemeinde seit der Mitte des 19. Jahrhunderts jedoch bis auf 165 Mitglieder (1910) an. Gute ökonomische Bedingungen lockten jüdische Familien an, die zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor in der Stadt wurden.

Mit dem Beginn von Entrechtung, Repressionen und Wirtschaftsboykotten seit 1933 setzte die Abwanderung von Jüdinnen und Juden aus Mellrichstadt ein. Zunächst zogen die Menschen vor allem innerhalb Deutschlands um, hierzu liegen jedoch keine zuverlässigen Zahlen vor. Emigrationen ins Ausland häuften sich 1936 und besonders 1938. In diesem Jahr fand bereits am 30.09.1938 ein schwerer Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung in Mellrichstadt statt. Mindestens 50 Personen zogen fort, blieben aber in Deutschland. Bevorzugte Ziele waren Frankfurt a.M. (8), Würzburg (5) und Meiningen (4). Bei den Zielen der mindestens 36 Emigranten dominierten die USA (31). Doch es gab auch relativ normale Fluktuationen besonders unter jungen Menschen sowie mindestens 15 Zuzüge aus der Region. 17 Menschen starben vor den Deportationen, darunter zwei Menschen, die aus Verzweiflung Suizid begingen, und eine Frau, die die Folgen eines gewaltsamen Übergriffs nicht überlebte.

Von den letzten Jüdinnen und Juden, die Anfang 1942 noch in der Stadt waren, wurden elf ältere Menschen Ende März und im Mai nach Würzburg in die Sammelquartiere eingewiesen. Von dort deportierte sie der NS-Staat im September nach Theresienstadt. Die größere Gruppe der 24 etwas jüngeren Menschen, zu der auch Kinder und Jugendliche gehörten, wurde am 24. April nach Würzburg gebracht. Von dort wurden sie am Folgetag nach Krasniczyn im besetzten Ostpolen deportiert. Weitere nach 1933 Zugezogene gehörten zu dieser Gruppe. Nur eine Frau, die mit einem nichtjüdischen Mann verheiratet war, konnte in Mellrichstadt bleiben.

Von den jüdischen Bürgerinnen und Bürgern, die 1933 in Mellrichstadt gelebt hatten, wurden 32 aus Unterfranken deportiert. Mindestens weitere 10 Personen ereilte dieses Schicksal an ihren neuen Wohnorten in Deutschland, den Niederlanden und in Prag. Zusammen mit den drei individuell ums Leben gekommenen Personen muss man also insgesamt von mindestens 45 Opfern der Shoa sprechen, niemand überlebte.

Der Koffer in Mellrichstadt erinnert an die deportierten Jüdinnen und Juden des Ortes. Ein identischer Koffer steht in Würzburg und bildet zusammen mit denen anderer Kommunen den “DenkOrt Deportationen” vor dem Hauptbahnhof. Siehe Grundinformationen zu den jüdischen Gemeinden und zum “DenkOrt”.

Der Standort des Koffers in Mellrichstadt ist auf dem Nathan-Stern-Platz.

Ausführlichere Informationen zur jüdischen Gemeinde Mellrichstadt
Quellen zu den Gemeindeartikeln

Shoa-Opfer, die 1933 in Mellrichstadt gelebt hatten

Flora Adler (1884 – 1942)
Martha Benedick, geb. Kahn, verw. Blum (1894 – 1942/1945)
Adolf Blum (1877 – 1938)
Ida Blum, geb. Gutmann (1861 – 1943)
Michael Blum (1855 – 1942)
Adelheid Adele Edelmuth, geb. Ottensoser (1884 – 1942)
Hugo Edelmuth (1884 – 1942)
Ilse Edelmuth (1923 – 1942)
Siegfried Edelmuth (1912 – 1941)
Paula Eisemann, geb. Ottensoser (1883 – 1942)
Ida Friedmann, geb. Katzenstein (1875 – 1944)
Max Friedmann (1869 – 1944)
Jakob Goldbach (1862 – 1943)
Rina Gottlieb (1886 – 1942/1945)
Regina Gutmann, geb. Goldschmidt (1852 – 1943)
Jette Kahn, geb. Freudenberger (1872 – 1943)
Philipp Katz (1879 – 1942)
Selma Katz, geb. Frühauf (1882 – 1942)
Alfred Mantel (1925 – 1942)
Bianka Mantel (1893 – 1942)
Hanna Mantel (1860 – 1942)
Margarete Mantel, geb. Wolf (1894 – 1942)
Max Mantel (1883 – 1942)
Hedwig Neuberger (1878 – 1944)
David Nußbaum (1880 – 1944)
Luise Nußbaum, geb. Wahlhaus (1879 – 1944)
Mathilde Ochs, geb. Gutmann (1867 – 1943)
Adolf Ottensoser (1890 – 1942)
Babette Ottensoser, geb. Rothstein (1852 – 1942)
Berta Recha Ottensoser, geb. Mayer (1899 – 1942)
Lazarus Ottensoser (1855 – 1942)
Nathanael Ottensoser (1888 – 1942)
Suse Ottensoser (1930 – 1942)
Ida Rosenbaum, geb. Sichel (1879 – 1939)
Gisela Rosenthal, geb. Gottlieb (1892 – 1943)
Julius Rosenthal (1889 – 1943)
Malwine Rosenthal, geb. Rose (1885 – 1942)
Oskar Rosenthal (1883 – 1942)
Rosa Rosenthal, geb. Vorchheimer (1880 – 1941/1942)
Theodor Rosenthal (1884 – 1942)
Ida Stein, geb. Punfud (1878 – 1942)
Jakob Schloß (1880 – 1940)
Fanny Stein, geb. Samfeld (1878 – 1944)
Moses Stein (1861 – 1943)
Siegfried Stein (1906 – 1942)

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