Die Kinder des 17. Juni
Am 17. Juni 1943 verließ der letzte Transportzug in die Vernichtungslager den Hauptbahnhof in Würzburg. Deshalb wurde genau an diesem Datum vor einem Jahr der „DenkOrt Deportationen“ eröffnet. Ein Jahr später möchten wir an dieser Stelle besonders an die drei Kinder und acht jungen Menschen erinnern, die mit diesem Transport verschleppt wurden und nicht mehr zurückkehrten.
Der jüngste von ihnen war Sally Heippert, geboren am 9. Januar 1942 im Israelitischen Krankenhaus in Frankfurt a.M. Zu dieser Zeit wohnte seine ledige Mutter Käthe Heippert (1920 – 1943) im Heim des Jüdischen Frauenbunds in Neu-Isenburg. Dort konnte sie sich in einer halbwegs geschützten Umgebung auf ihr Kind vorbereiten. Sally bekam den Namen seines Großvaters, der die Haft im KZ Dachau 1938 nicht überlebt hatte. Die Familie Heippert lebte in Wiesenbronn. Sallys Vater ist nicht bekannt.
Als das Heim in Neu-Isenburg im März geschlossen werden musste, zog Käthe Heippert mit ihrem Baby nach Würzburg. Dort hatte sie bereits zuvor gelebt und als Dienstmädchen gearbeitet. Seit August 1942 wohnten Mutter und Kind im Gebäude auf dem Israelitischen Friedhof an der Faulenbergstraße. Dort lebten auch Sofie Krebs (1894 – 1943) und ihre beiden Söhne Julius (1923 – 1943) und Walter (1924 – 1943). Ihr Vater Benno (1881 – 1938) war 1938 im KZ Buchenwald ermordet worden, der Zwillingsbruder von Walter konnte emigrieren. Als Gärtner war Walter Krebs wohl für den Friedhof zuständig und könnte durch den Anbau von Gemüse zur Versorgung der Mitbewohner*innen beigetragen haben.
Am 17. Juni 1943 wurden Käthe und Sally Heippert wie die Familie Krebs frühmorgens mit den letzten Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde im Sammelquartier in der Bibrastr. 6 kontrolliert. Mittags mussten sie von da zu Fuß durch die Stadt zum Hauptbahnhof laufen. In einem Waggon, der an den regulären Zug nach Nürnberg angehängt war, startete der Transport mit 57 Menschen nach Auschwitz. Ein zweiter Waggon mit 7 Personen war für das Ghetto Theresienstadt bestimmt. Der eineinhalbjährige Sally und seine Mutter wurden wohl wie die Brüder Krebs mit ihrer Mutter direkt nach der Ankunft in die Gaskammer geschickt und ermordet. Sally war eines der jüngsten Opfer aus Unterfranken.
Michael (1931 – 1943) und Elisabeth (1936 – 1943) Weinberger mit ihrer Mutter Ruth (1900 – 1943) erging es nicht anders, auch sie starben in den Gaskammern von Auschwitz. Micheli und Lies, wie sie genannt wurden, waren die letzten jüdischen Kinder im Schulalter in Würzburg, elf und sieben Jahre alt. Sie lebten im Sammelquartier in der Bibrastr. 6. Dort erteilte ihnen ihre Mutter Privatunterricht und baute im Hof des Gebäudes Gemüse an. Sie hatte als Krankenschwester im Jüdischen Krankenhaus gearbeitet. Der Vater Karl Weinberger (1889 – 1941) war Erster Staatsanwalt und Landgerichtsrat in Würzburg gewesen und 1941 an einer Blutvergiftung gestorben.
Die Eltern Weinberger hatten sich erst nach dem Novemberpogrom 1938 und nach der Demolierung ihrer Wohnung entschlossen auszuwandern, was jedoch nicht mehr gelang. Die drei Kinder sollten mit einem Kindertransport nach England ausreisen. Als es so weit war, brachten Ruth und Karl Weinberger es nicht fertig, den beiden jüngeren Kindern die Trennung zuzumuten. Nur die elfjährige Hannah, die in der Mitte auf dem Foto zu sehen ist, stieg im Juni 1939 in den Zug. Sie überlebte als einziges Familienmitglied und verbrachte ihr Leben als Hanna Hickman (1928 – 2005) in England. 2003 veröffentlichte sie ihre Autobiographie.
Text: Rotraud Ries, JSZ; Foto: Michael, Hannah und Elisabeth Weinberger, ca. 1939 © Ruth March