Verleihung des Kulturpreises durch die Bayerische Landesstiftung

Am 8.4.2022 wurden mit coronabedingter Verspätung im Nürnberger Finanz- und Heimatministerium die Preise der Bayerischen Landesstiftung in Präsenz übergeben. Bei dieser zweiten Veranstaltung wurden fünf der neun Kultur-, Sozial- und Umweltpreise verliehen, darunter auch der an den Würzburger „DenkOrt Deportationen 1941 – 1944“. Die Preise waren mit jeweils 10.000,00 € dotiert. Für den Verein nahmen die Vorsitzende Benita Stolz und Mitglied Harald Ebert die Ehrung aus den Händen von Staatsminister Albert Füracker entgegen. Der freute sich darüber, dass mit dem DenkOrt ein architektonisch gut gelungenes und bleibendes Denkmal die Erinnerung an die unterfrankenweiten Deportationen der Nazi-Zeit wachhalten wird, und das an städtebaulich hervorragender Stelle, nämlich am Vorplatz des Hauptbahnhofs.

Sein Urteil: „Die Preise der Landesstiftung sind Anerkennung für großes Engagement und würdigen das Handeln und die Vorbildfunktion der Preisträger.“

Anschließend gab es ein Gespräch mit Landtagspräsidentin a.D. Barbara Stamm, Kassenwart Michael Stolz und Rotraud Ries, die an der DenkOrt-Homepage intensiv mitgearbeitet hatte. Dabei stand die Situation am Würzburger Hauptbahnhof im Mittelpunkt, wo besser auf den DenkOrt hingewiesen werden sollte.

Auch in einem Interview mit der Vorsitzenden hielt der Bayerische Rundfunk die Hintergründe der Entstehung des DenkOrtes fest.

Das Photo zeigt die Geehrten, Architekt und Verein zusammen (vlnr): Architekt Matthias Braun, Vors. Benita Stolz, Dr. Harald Ebert, 2. Vors. Christine Hofstetter, Karlheinz Spiegel, Dr. Rotraud Ries, Susanne Wildfeuer, Schriftführerin Hannelore Hübner, Kassenwart Michael Stolz.

Gedenkweg zur Zerstörung Würzburgs führte am DenkOrt vorbei

Am 16.3.2022 machte das Wandernagelkreuz beim „Weg der Versöhnung“ am DenkOrt Deportationen die erste Station. Zwei 10. Klassen der St-Ursula-Schule erwarteten die Gruppe mit Oberbürgermeister Christian Schuchardt mit besinnlichen Texten.

Das Zitat des ersten Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Würzburg stellte den Zusammenhang her: „Sowie durch die Bombennacht des 16. März 1945 große Teile des historischen Stadtbildes von Würzburg unwiederbringlich vernichtet wurden, wurde durch die Vertreibung und Ermordung ihrer jüdischen Mitbürger das demographische Bild der Stadt entstellt.“

Auch Elie Wiesels Worte waren zu hören: „Geht zurück, erinnert euch und seid entschlossen aufeinander zuzugehen! Die Erinnerung muss die Menschen aufeinander zugehen lassen und sie nicht voneinander trennen. Dieses Erlebnis hier (damit ist der Besuch im KZ Buchenwald gemeint) soll auf keinen Fall Zorn in eure Herzen pflanzen, sondern sollte ein Gefühl der Solidarität unter uns schaffen. Was sonst könnten wir denn tun, außer dass wir die Erinnerung hochhalten.“

Symbolisch verließen zu den Deportationsdaten jeweils die Schülerinnen den DenkOrt, am Schluss standen sie alle in der Distanz am oberen Rand der Wiese – das Gepäck blieb als einziges zurück.

Der „Weg der Versöhnung“ führte noch weiter über die Bahnhofsmission und das Generationen-Zentrum Matthias Ehrenfried zum Rathaus. Dort wurde das Nagelkreuz an die Stadt übergeben.

Text: Michael Stolz; Foto und © DenkOrt Deportationen – Michael Stolz

UNICEF-Studierende erinnern an Kinder und Jugendliche

 

Etwa 100 Menschen hatten sich am 27.1.22 beim DenkOrt Deportationen am Hauptbahnhof eingefunden. Sie waren der Einladung der Studierendengruppe von UNICEF in Kooperation mit dem Verein DenkOrt Deportationen und dem Arbeitskreis Stolpersteine gefolgt, am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus Präsenz zu zeigen.

Rina Meerson und Maren Schmitt von UNICEF verwiesen auf Teddybär und Kinderwagen am DenkOrt, die deutlich machen, dass auch Kinder den Grausamkeiten des NS-Regimes zum Opfer fielen. Insgesamt wurden aus Unterfranken 166 Kinder und Jugendliche bis zum Alter von 17 Jahren deportiert, die meisten vom Würzburger Bahnhof aus. In den Lagern des NS-Staates in Osteuropa wurden sie ermordet. Das habe sie als Kinderschutz-Organisation motiviert, dieses Gedenken zu veranstalten.

Der Landtagsabgeordnete Patrick Friedl erinnerte an die 15 Monate alte Hanna Klein aus Theilheim bei Schweinfurt. Sie lag damals im Kinderwagen, der im Ringpark an der Sammelstelle im Platz’schen Garten fotografiert wurde, und wartete mit ihrer Mutter auf die Deportation. An sie erinnert der Kinderwagen, der am DenkOrt steht. Der Tod der Kleinkinder war ein brutal schneller. Direkt nach der Ankunft gingen sie mit ihren Müttern ins Gas

Die Verlesung der Namen durch Schülerinnen wurde ergänzt durch Lichter, die von Kindern auf dem DenkOrt verteilt wurden.

Eine Gedenkminute schloss sich an.

Benita Stolz vom AK Stolpersteine war berührt davon, wie groß das Interesse der UNICEF-Studierenden bei einem Weg der Erinnerung gewesen sei. Sie mahnte: „Denn es ist vor allem an der Jugend, alles zu unternehmen, dass sich so etwas nicht wiederholt.“

Die Linien zur Gegenwart zeigte sie auf: „Mit der anschließenden Stolperstein-Reinigungsaktion bringen Sie den Würzburgern nahe, dass die Namen auf den Steinen zu den Menschen gehören, die wirklich heute ihre Nachbarn wären. Sie putzen Steine für Kinder und Jugendliche, die heute 80, 81, 82 Jahre wären. Sie wären unsere Nachbarn im Seniorinnenheim, würden neben uns im Bus oder in der Straßenbahn sitzen.“

Im Anschluss putzten die UNICEF-Mitglieder und andere die Kinder-Stolpersteine in der Innenstadt und schmückten sie mit Blumen und Kerzen.

Die erste Deportation

Heute vor 80 Jahren, am 27. November 1941, verließ am frühen Morgen der erste Deportationszug aus Unterfranken den Würzburger Güterbahnhof Aumühle in Richtung Nürnberg. 202 jüdische Männer, Frauen und Kinder hatten sich am Tag zuvor in der Schrannenhalle, der damaligen Stadthalle zur Kontrolle und Abfertigung einfinden müssen. Mitten in der Nacht liefen sie von dort streng bewacht zur Aumühle.

Der Zug brachte sie ins Nürnberger Lager Langwasser, wo weitere jüdische Menschen aus Franken gesammelt wurden. Am 29. November verließ der Transport Nürnberg mit 1 008 Jüdinnen und Juden an Bord. Er fuhr ins besetzte Lettland und kam am 2. Dezember 1941 im Süden der Hauptstadt Riga am Bahnhof Skirotava an. Zu Fuß ging es von dort ins nahe gelegene Lager Jungfernhof, ein verfallener Gutshof an der Düna.

Dort und im nahen Wald von Bikernieki starben die meisten Personen der Würzburger Gruppe aufgrund der unmenschlichen Lebensbedingungen im Lager oder wurden im März 1942 an Massengräbern erschossen. Nur 40, meist jüngere Menschen überstanden dieses und weitere Lager im Raum Riga. Sie wurden im Frühherbst 1944 wieder nach Westen transportiert, wo weitere von ihnen im KZ Stutthof, in anderen Lagern oder auf den Todesmärschen ums Leben kamen. Lediglich 16 Jugendliche, Männer und Frauen konnten überleben.

Ihre Berichte sowie die weiterer Zeitzeugen zu den Deportationen aus Unterfranken hat eine Gruppe aus dem AK Stolpersteine und dem Johanna-Stahl-Zentrum 2017 in einer Lesung vorgestellt. Anlässlich des heutigen Jahrestages soll dieser Text „Das Unsagbare beschreiben“ hier online publiziert werden, damit er auch von anderen Aktiven der Erinnerungskultur gelesen und verwendet werden kann. Er ist als pdf-Dokument auf der Seite Spuren eingestellt und kann dort einfach heruntergeladen, ausgedruckt und mit Quellenangabe genutzt werden.

Monuments & Memory

Unter diesem Titel stellten Dozenten und Studierende englischsprachige online-Präsentationen zusammen. Sie arbeiteten in einer transatlantischen Kooperation zwischen dem Flagler College St. Augustine & Tallahassee und der Julius-Maximilians-Universität Würzburg zusammen. Ihre Leitfragen lauteten: „How do communities and individuals remember? How and why do they forget? What modes of collective memory help us to engage productively with the past? Which practices, in contrast, tend to mythologize and oversimplify history?“

Die multimediale Präsentation ist in drei virtuellen Räumen organisiert: Media of Memory, Mobilities & Migration, Personal | Public & Local | National.

Media of Memory

„This room sets out to explore the affordances of specific media for collective memory in case studies that take us from Würzburg and Franconia across the Atlantic to Washington, D.C. and Kansas City, Missouri in addition to the online spaces that currently connect us all.“

Die drei Fallbeispiele kombinieren in lockerer Form das internationale digitale Holocaust-Gedenken mit Denkmälern zur Erinnerung an Kriegsgefallene in Würzburg und den USA sowie den DenkOrt Deportationen.

DenkOrt Deportationen 1941-1944: Current Forms of Remembering

„The starting point of our project was our interest in modern forms of remembrance. What do new types of remembrance look like? After the “DenkOrt Deportationen 1941-1944” was only opened last summer, the monument at Wuerzburg Central Station appeared to be an ideal way to address our question.

We are interested in the following questions: How did the idea for the project come about? Who was involved in the conception? What was important to the makers in the implementation? What’s new? How does the DenkOrt differ from previous Holocaust memorials?“ Interviews mit der Vorsitzenden des Vereins DenkOrt Deportationen, Benita Stolz, und der Leiterin des Johanna-Stahl-Zentrums, Dr. Rotraud Ries, geben Antwort auf diese Fragen.
zur online-Präsentation

DenkOrt Deportationen – Zweite Eröffnung

Am 24. September 2021, einen Tag nach dem Jahrestag der 5. Deportation, kamen zahlreiche Bürgermeister:innen aus ganz Unterfranken zum DenkOrt. Sie waren eingeladen zur zweiten Eröffnung und der Aufstellung ihres Gepäckstücks. Auch Gemeindeoberhäupter, die im letzten Jahr bei der ersten Eröffnung nicht hatten dabei sein dürfen, konnten nun teilnehmen – und taten es in großer Zahl. So wurde zum ersten Mal sichtbar, dass der DenkOrt Deportationen nicht nur Gepäckstücke aus ganz Unterfranken zur Erinnerung an die Deportierten trägt, sondern dass er auch die Kommunen und die heutigen Menschen miteinander verbindet.

Der Würzburger Oberbürgermeister Christian Schuchardt begrüßte seine Kolleg:innen und alle weiteren Teilnehmer:innen und hob einmal mehr die Bedeutung der Gedenkstätte für den gesamten Regierungsbezirk hervor. Er lobte das „bewundernswerte bürgerliche Engagement“, das den DenkOrt ermöglicht habe, sowie das umfassende historische Informationsangebot DenkOrt 2.0. Die mehrfache Auszeichnung der Gedenkstätte, unter anderem mit dem Kulturpreis der Bayerischen Landesstiftung, sei auch eine Auszeichnung für die Gemeinden, die daran mitgewirkt hätten, so Schuchardt.

Auch Dr. Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, unterstrich mit seiner Anwesenheit und in seiner Rede, welch hohen Stellenwert das Gedenken und die Partizipation vieler gesellschaftlicher Akteure und Gruppen im Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus habe. „Ich freue mich sehr, dass sich immer mehr Orte an diesem Mahnmal beteiligen“, so Schuster. Mit Bezug auf den geplanten Anschlag auf die Synagoge in Hagen verwies er auf die Notwendigkeit, sich dem wachsenden Antisemitismus entgegenzustellen. „Wir wissen, wir haben mehr Freunde als Feinde in Deutschland. Aber noch immer sind wir nicht gefeit vor Hass und Gewalt“, so der Zentralratspräsident.

Landrat Florian Töpper (Schweinfurt) sprach für die unterfränkischen Landrätinnen und Landräte. Er betonte ebenfalls, dass der DenkOrt ein bedeutendes Zeichen für den Willen zur Erinnerung an unvergleichliches Unrecht und nicht wiedergutzumachende Verluste für ganz Unterfranken sei. Somit wollten auch die Landkreise dieses besondere Mahnmal unterstützen, um ihrer Verantwortung zur Erinnerung an die aus Unterfranken deportierten Jüdinnen und Juden gerecht zu werden.

Das Bündnis für Demokratie und Zivilcourage sowie die Jugendbildungsstätte Unterfranken waren durch Zehranur Manzak vertreten. Aus der Perspektive ihrer erinnerungspädagogischen Arbeit schilderte sie, wie wichtig es ist, junge Menschen mit ihren Fragen in die Erinnerungsarbeit einzubeziehen. Denn die Jugendlichen seien als Angehörige der Migrationsgesellschaft die Gestalter:innnen der Gegenwart und der Zukunft. Takayo Miura, Schülerin der Drechslerklasse der Berufsschule Bad Kissingen, beschrieb den Herstellungsprozess einer hölzernen Deckenrolle für das DenkOrt-Projekt. Musikalisch begleitet wurde die Veranstaltung von Bläsern der Musikfachschule in Bad Königshofen.

Als am Ende der Veranstaltung die Namen der Kommunen verlesen wurden, aus denen die neuen Gepäckstücke stammen, stellten sich die Bürgermeister:innen zu ihrem jeweiligen Gepäckstück. Eine Gedenkminute rundete den offiziellen Teil eindrucksvoll ab.

Text und Foto: Rotraud Ries

Im Auftrag der Jugendbildungsstätte Unterfranken wurde der Redebeitrag von Zehranur Manzak von dalle-tv aufgenommen. Wie sie als Migrationspädagogin und Muslima ganz neue Töne anschlägt, können Sie im Videobeitrag sehen und hören.

MS

Neue Koffer am DenkOrt

Wer in den letzten Tagen am DenkOrt vorbeiging, konnte es sehen: Veränderungen kündigen sich an. Die Gedenkstätte ist von einem Bauzaun umgeben, ein kleiner Kran steht dort. Und seit Montag wurden Gepäckstücke angeliefert und montiert.

Denn am 24. September 2021 findet die zweite Eröffnung und Erweiterung des DenkOrts statt: 32 neue Gepäckstücke aus Kommunen in ganz Unterfranken werden aufgestellt. Sie kommen zu den bereits 47 dort befindlichen Koffern, Deckenrollen und Rucksäcken hinzu. Auch diesmal darf die Veranstaltung leider nur in kleinerem Rahmen mit geladenen Gästen aus den Kommunen stattfinden.

Die neuen Koffer repräsentieren 43 jüdische Gemeinden und Wohnorte, in denen 1933 jüdische Menschen lebten. Und sie zeigen, dass viele weitere Kommunen in Unterfranken sich ihrer ehemaligen jüdischen Bürgerinnen und Bürger erinnern, die verfolgt, vertrieben, beraubt, deportiert und ermordet wurden. Auch in den Kommunen wurden inzwischen bereits viele lokale DenkOrte eröffnet.

Besonders an den neuen Gepäckstücken ist, dass einige von ihnen durch Schüler:innen der Holzbildhauerschule in Bischofsheim und der Berufsschule in Bad Kissingen erstellt wurden. Eine Klasse der Bischofsheimer Schule hatte sich intensiv mit der Thematik des DenkOrts auseinandergesetzt und dies kreativ in ihre Entwürfe einfließen lassen (s. Foto). Die Drechslerklasse in Bad Kissingen hat ihre Gepäckstücke sogar als Jahresklassenarbeit hergestellt. Eine Schülerin wird bei der Eröffnung darüber berichten.

Foto und Text: Rotraud Ries, JSZ

Die Kinder des 17. Juni

Am 17. Juni 1943 verließ der letzte Transportzug in die Vernichtungslager den Hauptbahnhof in Würzburg. Deshalb wurde genau an diesem Datum vor einem Jahr der „DenkOrt Deportationen“ eröffnet. Ein Jahr später möchten wir an dieser Stelle besonders an die drei Kinder und acht jungen Menschen erinnern, die mit diesem Transport verschleppt wurden und nicht mehr zurückkehrten.

Der jüngste von ihnen war Sally Heippert, geboren am 9. Januar 1942 im Israelitischen Krankenhaus in Frankfurt a.M. Zu dieser Zeit wohnte seine ledige Mutter Käthe Heippert (1920 – 1943) im Heim des Jüdischen Frauenbunds in Neu-Isenburg. Dort konnte sie sich in einer halbwegs geschützten Umgebung auf ihr Kind vorbereiten. Sally bekam den Namen seines Großvaters, der die Haft im KZ Dachau 1938 nicht überlebt hatte. Die Familie Heippert lebte in Wiesenbronn. Sallys Vater ist nicht bekannt.

Als das Heim in Neu-Isenburg im März geschlossen werden musste, zog Käthe Heippert mit ihrem Baby nach Würzburg. Dort hatte sie bereits zuvor gelebt und als Dienstmädchen gearbeitet. Seit August 1942 wohnten Mutter und Kind im Gebäude auf dem Israelitischen Friedhof an der Faulenbergstraße. Dort lebten auch Sofie Krebs (1894 – 1943) und ihre beiden Söhne Julius (1923 – 1943) und Walter (1924 – 1943). Ihr Vater Benno (1881 – 1938) war 1938 im KZ Buchenwald ermordet worden, der Zwillingsbruder von Walter konnte emigrieren. Als Gärtner war Walter Krebs wohl für den Friedhof zuständig und könnte durch den Anbau von Gemüse zur Versorgung der Mitbewohner*innen beigetragen haben.

Am 17. Juni 1943 wurden Käthe und Sally Heippert wie die Familie Krebs frühmorgens mit den letzten Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde im Sammelquartier in der Bibrastr. 6 kontrolliert. Mittags mussten sie von da zu Fuß durch die Stadt zum Hauptbahnhof laufen. In einem Waggon, der an den regulären Zug nach Nürnberg angehängt war, startete der Transport mit 57 Menschen nach Auschwitz. Ein zweiter Waggon mit 7 Personen war für das Ghetto Theresienstadt bestimmt. Der eineinhalbjährige Sally und seine Mutter wurden wohl wie die Brüder Krebs mit ihrer Mutter direkt nach der Ankunft in die Gaskammer geschickt und ermordet. Sally war eines der jüngsten Opfer aus Unterfranken.

Michael (1931 – 1943) und Elisabeth (1936 – 1943) Weinberger mit ihrer Mutter Ruth (1900 – 1943) erging es nicht anders, auch sie starben in den Gaskammern von Auschwitz. Micheli und Lies, wie sie genannt wurden, waren die letzten jüdischen Kinder im Schulalter in Würzburg, elf und sieben Jahre alt. Sie lebten im Sammelquartier in der Bibrastr. 6. Dort erteilte ihnen ihre Mutter Privatunterricht und baute im Hof des Gebäudes Gemüse an. Sie hatte als Krankenschwester im Jüdischen Krankenhaus gearbeitet. Der Vater Karl Weinberger (1889 – 1941) war Erster Staatsanwalt und Landgerichtsrat in Würzburg gewesen und 1941 an einer Blutvergiftung gestorben.

Die Eltern Weinberger hatten sich erst nach dem Novemberpogrom 1938 und nach der Demolierung ihrer Wohnung entschlossen auszuwandern, was jedoch nicht mehr gelang. Die drei Kinder sollten mit einem Kindertransport nach England ausreisen. Als es so weit war, brachten Ruth und Karl Weinberger es nicht fertig, den beiden jüngeren Kindern die Trennung zuzumuten. Nur die elfjährige Hannah, die in der Mitte auf dem Foto zu sehen ist, stieg im Juni 1939 in den Zug. Sie überlebte als einziges Familienmitglied und verbrachte ihr Leben als Hanna Hickman (1928 – 2005) in England. 2003 veröffentlichte sie ihre Autobiographie.

Text: Rotraud Ries, JSZ; Foto: Michael, Hannah und Elisabeth Weinberger, ca. 1939 © Ruth March

Jahrestag der Deportation vom 25. April 1942

Mira Marx und ihr Cousin Oskar Moritz sind am 23. April 1942 gerade aus dem Bus ausgestiegen. Er hat sie von Miltenberg zur Sammelstelle am Platz‘schen Garten in Würzburg gebracht. Hier müssen sich zwischen dem 22. und 24. April 1942 Jüdinnen und Juden aus ganz Unterfranken zur „Evakuierung“ einfinden. Mira Marx trägt schweres Gepäck und schaut sich suchend und verängstigt um, während Oskar Moritz in Richtung der Kamera blickt. An seinem Mantel ist der „Judenstern“ zu erkennen. Nur zwei Tage später und nach demütigenden Kontrollen werden sie mit 850 weiteren Menschen von der Sammelstelle zum Güterbahnhof Aumühle getrieben und von dort in den Raum Lublin im besetzten Polen deportiert.

Nach der Ankunft in Krasnystaw müssen die entkräfteten Menschen ohne ausreichende Versorgung zu Fuß nach Krasniczyn laufen, wo sie unmenschliche Bedingungen vorfinden. Von hier waren nur einen Tag zuvor die einheimischen Jüdinnen und Juden ins Vernichtungslager abtransportiert worden. Das gleiche Schicksal ereilt die 852 Menschen des Transports aus Würzburg. Sie alle werden noch vor Ende des Jahres im Raum Lublin ermordet. Die dritte Deportation vom 25. April 1942 war damit der größte durch das NS-Regime geplante und durchgeführte Transport aus Unterfranken. Zu den Opfern der Deportation gehörten auch Mira Marx und Oskar Moritz.

Aufgewachsen war Mira Marx (1894 – 1942) mit fünf Geschwistern in Miltenberg. Als Schülerin besuchte sie das Institut Unserer Lieben Frau und zog danach für ihre Lehre nach Frankfurt. Dort bekam sie ein Kind von einem Nichtjuden, das sie nicht bei sich behalten konnte. Vielen ledigen Müttern erging es ähnlich zu dieser Zeit. Zurück in Miltenberg arbeitete die unverheiratete Frau als Häusermaklerin. Mira Marx lebte im Haus der Familie, doch ihre Geschwister verließen Miltenberg schon um 1920. Das Haus wurde zum letzten, unfreiwilligen Sammelquartier der Miltenberger Juden. Der Sohn von Mira Marx hat die NS-Verfolgungen überlebt.

Auch Oskar Moritz (1887 – 1942), der Cousin von Mira Marx, wuchs in Miltenberg mit vier Geschwistern auf. Später lebte er dort mit seiner Frau Rosa und den drei Kindern. Im Ort führte er ein Ledergeschäft und war Mitglied der SPD. Aus diesem Grund geriet er schnell in das Visier der Gestapo und wurde bereits zu Beginn der NS-Zeit für mehr als zwei Jahre und dann noch einmal nach den Novemberpogromen für kurze Zeit im KZ Dachau interniert. Oskar Moritz versuchte, mit seiner Frau und seinem Sohn in die USA zu emigrieren – ohne Erfolg. Am 25. April 1942 wurde er mit seiner Frau Rosa von Würzburg nach Krasniczyn deportiert und dort ermordet. Ihr Sohn Manfred war bereits 1941 von Hannover aus in den Raum Riga deportiert worden, wo er ebenfalls ums Leben kam. Den beiden Töchtern gelang die Flucht nach England.

Mit Mira Marx und Oskar Moritz erinnern wir stellvertretend an alle Opfer der Deportation vom 25. April 1942.

Text: Nathalie Jäger, JSZ;  Foto: StAWü Gestapo 18880a, Foto 31, Zuschnitt

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